1.Liga Handball. Sieben Jahre lang dauerte das Abenteuer in der NLB. Nun kehrt der TV Solothurn nach seiner langen Reise wieder in heimische Gefilde zurück. In der Erstliga will der Verein zurück zu seinen Wurzeln: eine starke Juniorenabteilung und eine erste Mannschaft mit eigenen Spielern. Dafür hat der TVS den optimalen Mann an der Seitenlinie gefunden.
Gaudenz Oetterli
Dort, wo andere Menschen ein Herz haben, prangt bei Andri Tatarinoff vermutlich ein TVS-Logo. Der 31-Jährige aus Etziken ist trotz seines jungen Alters bereits über zwei Jahrzehnte im Verein, durchlief alle Juniorenstufen, spielte in der ersten Mannschaft, war U15-Trainer und ist Geschäftsführer des TVS und dessen Vize-Präsident – schlicht ein TVS-ler durch und durch. Und, der handballbegeisterte Tatarinoff ist damit auch die perfekte Wahl als neuer Trainer der ersten Mannschaft.
Dieser Meinung war auch der Vorstand des TV Solothurn und wählte seinen Vize-Präsidenten und Geschäftsführer schon während der letzten Saison zum neuen Mann an der Seitenlinie. Sogleich startete Tatarinoff die Kaderplanung unter dem Motto «back to the roots». Nach der siebenjährigen Expedition in die zweithöchste Liga wollte der Verein einen Neustart eine Liga tiefer. Wichtigste Prämisse: Den grossen Kern der ersten Mannschaft bilden Spieler, die beim TVS gross geworden sind und das Herz beim Verein haben.
Der Schritt als logische Konsequenz
Nach dem Wiedererstarken der Juniorenabteilung haben die Solothurner auf Stufe U19 und U17 gleich mehrere grosse Talente, die sich zu hervorragenden Aktivspielern entwickeln können. Auch auf den weiteren, jüngeren Jugendstufen freut sich der Handballsport in Solothurn wieder grosser Beliebtheit und viele der Buben und Mädchen zeigen gute Ansätze, dereinst bei den Aktiven weiter oben Fuss fassen zu können. Das Ziel des Erstliga-Teams wird es mittelfristig sein, diese Talente stufenweise an die erste Mannschaft hinzuführen und dort einzubauen, ganz so, wie es beim TV Solothurn die letzten 30 Jahre und darüber hinaus schon Tradition war.
Als NLB-Verein konnte der TVS diese Tradition in den letzten Jahren immer weniger fortführen, da schlicht zu wenig eigene Junioren vorhanden waren. Zuletzt gab es sogar während mehrerer Saisons gar kein U19-Team mehr, es fehlte also just die Vorstufe zu den Aktiven. Das Projekt «back tot he roots» war nur die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung. Ein Restart in der Erstliga, da dem Verein die finanziellen Mittel fehlten, nicht vorhandene eigene Spieler mit teuren Einkäufen zu kompensieren – und weil dies auch nicht der Ausrichtung des Vereins entsprach, die der Vorstand sich wünschte, nämlich junge Spieler auszubilden.
Vom Mitspieler zum Trainer
Mit Andri Tatarinoff ist der neue Expeditionsleiter nun also ein Eigengewächs des TV Solothurn. Und er trainiert und führt ein Team, das zum Grossteil aus ebensolchen Spielern besteht. Mit einem grossen Teil seines Kaders spielte Andri Tatarinoff letzte Saison in der 2. Liga beim Partnerverein Biberist aktiv sogar noch zusammen. Der Rollenwechsel ist für ihn kein Problem. Schon zu Beginn der Vorbereitung stellte er vor dem Team klar: «Ich bin jetzt euer Trainer, viele kennen mich sehr gut, aber als Trainer erwarte ich Disziplin und dass akzeptiert wird, was ich sage.» Als junger Trainer zeigte er neben seiner Selbstsicherheit aber auch Selbsteinsicht und führte weiter aus: «Ich trainiere zum ersten Mal eine Mannschaft auf dieser Stufe. Ich werde Fehler machen, genauso wie wir alle Fehler machen werden. Aber wir werden gemeinsam daran wachsen.»
Weise Worte, die bei den neuen – oder besser gesagt «alten» - Spielern gut ankommen, genauso wie Tatarinoffs Trainings. Seine Spieler, viele davon enge Freunde, loben die Arbeit des Trainers in hohen Tönen. Die Trainings seien durchdacht, gut vorbereitet und ausgewogen. «Andri findet genau das richtige Mass zwischen Strenge, Verständnis, Förderung und Freundschaft. Das ist in dieser Konstellation nicht einfach und dafür gebührt ihm viel Respekt», sagen gleich mehrere Spieler und verteilen fleissig Vorschusslorbeeren.
Rückkehrer, Treue, Aufsteiger und Talente
Diese Spieler, die ihren Trainer für die ersten Trainings und die Vorbereitung loben, das sind viele alte Bekannte, die früher bereits NLB, Junioren oder Erstliga im TVS spielten. Begeistert vom Projekt, dass der TV Solothurn wieder zurück zu seinen Wurzeln will, brauchte es nicht viel Überzeugungsarbeit, um Spieler wie den ehemaligen Captain der NLB, Martin Beer, oder den langjährigen Goalie Jan Tatarinoff, den Bruder von Trainer Andri Tatarinoff, zu gewinnen. Oder aber den früheren TVS-Junior Fabrice Wittwer, der für dieses Ziel nach mehreren Jahren bei Herzogenbuchsee nach Solothurn zurückkehrte.
Mit Sandro Sieber und Malcolm Reis wollten auch zwei Spieler aus dem letztjährigen NLB-Team Teil dieses Projekts sein. Den grossen Stamm bilden dann Spieler wie Torhüter Marco Strähl, Adrian Trösch, Tobias Kupferschmid oder Thierry Sallin, die während Jahren ganz oben in der Zweitliga spielten, beim Partnerverein Biberist aktiv. Und bereits im ersten Jahr werden mit Krisztian Vazsonyi und Lionel Rüegg zwei Talente aus der eigenen Juniorenabteilung in die erste Mannschaft integriert.
Interessante Gruppe mit speziellen Duellen
Obwohl ein grosser Teil des Kaders in der Zweitliga bereits zusammengespielt hat, ist das Team von Neo-Trainer Andri Tatarinoff im Grunde komplett neu zusammengestellt und erhielt auch eine neue Ausrichtung, defensiv wie offensiv. «Eigentlich war die Vorbereitung einen Monat zu kurz für alles, was es zu tun gegeben hätte. Aber wir nehmen die Situation wie sie ist und steigen zuversichtlich in die ersten Spiele», erklärt der neue Übungsleiter.
Er freue sich auf die Gruppe, die für den TV Solothurn in der Tat sehr spannend sei. Mit Chênois 2, Lausanne/Cugy, West Crissier, Vevey und Nyon warten fünf welsche Wundertüten, von denen man nicht genau weiss, wie stark sie sind. Sehr spannend und emotional dürften dann die Duelle gegen die Deutschschweizer Gegner werden. Denn mit Biel, Wacker/Steffisburg, Herzogenbuchsee, Olten und dem BSV Bern warten gleich fünf Derbys oder derbyähnliche Opponenten auf den TVS. Vor allem die Begegnung mit dem BSV Bern dürfte einen besonderen Reiz bieten, ist dies doch zum Grossteil das letztjährige NLB-Team, das unter der Führung des BSV Bern den Wiederaufstieg anstrebt.
Saisoneröffnung gleich ein erster Gradmesser
Die ersten Ziele der neuen Expedition in der Erstliga liegen alle gen Westen und sind frankophon geprägt. Zuerst reisen die Mannen von Trainer Andri Tatarinoff diesen Samstag in die Romandie, zur SG WEST Crissier. Danach empfängt der TVS den HC Vevey, bevor im dritten Spiel der Weg nach Nyon ansteht. Nach einer kurzen Pause stehen dann im Oktober die ersten Derbys an, gegen Visp, Biel und Wacker/Steffisburg.
Um möglichst rasch in ruhigeren Gewässern navigieren zu können, möchten Expeditionsleiter Andri Tatarinoff und seine Crew trotz kurzer Vorbereitung möglichst viel Zählbares aus den ersten Begegnungen mitnehmen. WEST Crissier wird dabei sicherlich zu einem wichtigen Gradmesser. Die Romands waren im letzten Jahr in der Erstliga-Vorrunde Zweiter hinter dem späteren Aufsteiger Steffisburg. Der Expedition TVS weht also gleich von Beginn weg eine steife Brise ins Gesicht.
Fotos: Bojan Zupan
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